"Frauen in Führungsrollen sind kein „nice to have“ mehr ” - Interview mit Sabine Betz
Frau Betz, Sie sind seit vielen Jahren sehr erfolgreich in der Versicherungsbranche tätig. Nach wie vor sind Führungspositionen in der Finanz- und Versicherungsindustrie größtenteils von Männern besetzt. Warum ist das immer noch so und was muss sich aus Ihrer Sicht zukünftig ändern?
Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich in den letzten fünf Jahren eine deutliche Veränderung bei der Besetzung von Führungspositionen wahrnehme. Ich bin überzeugt davon, dass uns Frauen nun die Türen viel weiter offenstehen und Frauen in Führungsrollen kein „nice to have“ mehr sind. Die Management-Awareness für die Bedeutung dieses Themas ist klar gegeben und zwar nicht nur in Board-Positionen, sondern auch in der Exekutive. Trotzdem, und damit gebe ich Ihnen Recht, sind wir längst nicht da wo wir hinwollen und das hängt auch mit uns Frauen selbst zusammen. Wir sind zum Teil immer noch zu zögerlich, wenn es um die Übernahme von mehr Verantwortung und neuen Aufgabengebieten geht. Ich kenne das nur zu gut von mir selbst und kann aber sagen, dass immer, wenn ich den Schritt dann doch gewagt habe, ich danach begeistert war von der neuen Aufgabe. Ich denke, dass wir uns auch gegenseitig mehr motivieren und helfen sollten und ich sehe hier auch viel mehr Bewegung als früher. Und last but not least, können wir viel schneller weiterkommen auf dem Weg zu angemesseneren Führungspositions-Anteilen, wenn wir auch den männlichen Kollegen mehr Möglichkeiten für Teilzeit und flexibleren Arbeitszeiten ermöglichen und ich sehe hier definitiv auch viel mehr Interesse bei der jüngeren Generation, diesen Weg zu gehen. Junge Väter unterscheiden sich unbestritten von der Generation unserer Väter oder Ehepartner in der Art du Weise wie sie Verantwortung für die Familienbetreuung übernehmen möchten und das wird auch ausschlaggebend sein auf dem Weg zu höheren Anteilen von Frauen in Führungspositionen. Ich bin also durchaus optimistisch.
Sie selbst schaffen es erfolgreich Familie und Beruf zu vereinbaren. Was würden Sie Arbeitnehmerinnen empfehlen, die neben ihrer Familie auch ihre Karriere vorantreiben möchten?
Wichtig ist es, in einem Unternehmen zu arbeiten, wo man das Gefühl hat, wirklich geschätzt und gefördert zu werden und wo die Unternehmenskultur es ausdrücklich wünscht, dass Frauen in Führungsrollen kommen, die Familie haben. Hierfür muss die notwendige Flexibilität gegeben sein und auch gelebt werden. Dann ist es zentral, in den richtigen Momenten den notwendigen Mut aufzubringen, neue Rollen, durchaus auch intern, anzunehmen, sich etwas zuzutrauen und natürlich schon vorher auf sich und seine Ambitionen aufmerksam zu machen. Da sind wir Frauen oft noch zu bescheiden. Und es ist mit Familie natürlich extrem wichtig, sich die „Familientätigkeiten“ mit dem Partner aufzuteilen. In meinem Fall haben mein Mann und ich lange Jahre 80% gearbeitet und damit nur drei Tage in der Woche gehabt, wo unsere Kinder extern betreut werden mussten. Das hat gut geklappt! Man muss auch darauf achten, dass man nicht überall dabei sein kann, dass gilt bei Firmenevents wie auch bei privaten Anlässen und es ist wichtig hier wirklich gut organisiert zu sein und auch mal „nein“ zu sagen. Wer sich zu viel aufbürdet, ist dann schnell überlastet. Aber es ist meine Erfahrung, dass Familie & Karriere sehr gut vereinbar ist, wenn die Rahmenbedingungen im Unternehmen als auch privat stimmen. Wenn nicht, muss man den Mut haben, die Rahmenbedingungen zu verändern.
Hatten Sie während Ihrer Karriere jemals das Gefühl durch Ihr Geschlecht benachteiligt worden zu sein oder einen „steinigeren“ Weg zurücklegen zu müssen, als es Männer mit vergleichbaren oder vielleicht sogar geringeren Fähigkeiten tun mussten?
Nein, ich würde nicht sagen, dass ich eine echte Benachteiligung erfahren habe. Ich habe wahrscheinlich aufgrund der Familiengründung eine nicht so schnelle Karriere gemacht, wie ich sie vielleicht als Mann in einer klassischen Familienkonstellation, also mit Ehefrau zuhause oder Teilzeit-arbeitend, oder auch als Frau ohne Familie gemacht hätte, aber das habe ich sehr gerne in Kauf genommen. Es ist überhaupt ein Rat von mir, sich selbst nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Eine Karriere macht nur dann Sinn, wenn es eine glückliche Karriere ist und diese ist nicht exakt planbar, sondern ergibt sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, wenn man dann aber auch wirklich den Mut hat, Chancen zu ergreifen.
Welcher Karriereschritt hat Sie am meisten Mut gekostet?
Sicherlich meine beiden Wechsel von einer Firma zu einer anderen. Ich bin jemand, die es sehr gerne mag, wenn es auch im Team fast familiär zugeht und deshalb ist mir das schwergefallen. Aber letztendlich war es immer die richtige Entscheidung und den Kontakt zu liebgewonnenen Mitarbeitern kann man auch heutzutage sehr gut halten. Grundsätzlich bin ich aber der Meinung, dass es sich auszahlt, wenn man eine Firma richtig gut kennenlernt und nicht zu oft wechselt. Die Karriere kommt bei vielen Wechseln vielleicht schneller voran, aber ist nicht unbedingt eine glückliche Karriere.
Als Präsidentin der Schweizer Aktuarvereinigung haben Sie nebenberuflich eine wichtige Position inne. Wird das Thema Diversity bzw. Gleichberechtigung Ihrer Meinung nach in der aktuariellen Welt bereits ausreichend aktiv aufgegriffen?
Ich schätze mich sehr glücklich, immer in einer aktuariellen „Umgebung“ gearbeitet zu haben, da es uns Aktuaren immer vordergründig darum geht, „das Richtige“ zu tun. Wir sind sehr analytisch vorgehende Menschen und dies führt in der Regel dazu, dass Entscheidungen danach gefällt werden, was die sachlich richtige Entscheidung ist. Es geht weniger darum, wer Recht hat, wer am wichtigsten ist, etc. Das führt auch dazu, dass der Umgang miteinander sehr angenehm ist und dass wir innerhalb der aktuariellen Gemeinschaft schon sehr weit sind, was die Gleichberechtigung anbelangt. Ich denke andere „Branchen“ können durchaus von uns lernen in Bezug auf einen fairen Umgang miteinander. Natürlich ist es auch bei uns Aktuaren so, dass die höheren Managementpositionen noch von Männern dominiert werden, wir haben also auch durchaus noch Aufholbedarf. Ich sehe aber in der gesamten Versicherungsbranche seit ca. zwei Jahren viel Bewegung in die richtige Richtung und das stimmt mich optimistisch. Das Thema Diversity bzw. Gleichberechtigung wird aktiv aufgegriffen in der Versicherungsindustrie und wir als Aktuare sollten uns vor allem auch gegenseitig helfen, z.B. mit Mentoring, so wie wir es in der Schweizerischen Aktuarvereinigung lanciert haben.